Leseprobe

 

3. Kapitel

Versprochen, zu bleiben

»Du? Hier? Dich hätte ich hier nicht erwartet«, murmelte ich.
Ich ließ mich neben Eli auf das durchgesessene Sofa im Aufenthaltsraum fallen und legte meine Füße auf den niedrigen Couchtisch davor.
»Und ich habe nicht damit gerechnet, dass mich jemand hier stören würde. Vor allem nicht du, was willst du? Ich versuche zu lernen«, antwortete er und sein genervter Ton klang schon fast wie eine Beleidigung. Als wäre ich es nicht wert, hier zu sein.
»Wenn du deine Ruhe wünschst, solltest du nicht im Aufenthaltsraum danach suchen«, konterte ich.
So leicht wurde er mich nicht los. Ich hatte wohl erwartet, ihn hier anzutreffen. Deniz, Jerry, Patrick und Lee spielten in unserem Zimmer eine Runde Poker. Gegen Kredits, deswegen taten sie es heimlich dort, anstatt hier. Eli war vor dem Lärm geflüchtet. Für mich war es eine Chance. Seit Wochen wartete ich auf den richtigen Moment, ihm zu folgen. Ich beobachtete ihn, wann immer es mir möglich war.
»Keine Sorge, ich bin nicht wegen dir hier«, schob ich nach, als er nicht antwortete.
»Mir ist egal, warum du hier bist, aber muss es direkt neben mir sein?«, fragte er, während er ein Gähnen hinter seiner Hand versteckte.
»Müde? Solltest nachts mal schlafen, anstatt …«
»Ja anstatt was? Thomas? Hmm? Heißen Sex mit mächtigen Männern, die mich in meiner Karriere weiterbringen?« Seine Antwort versetzte mir einen Stich und ich hasste mich dafür, dass es so einfach war für ihn, mir wehzutun. Was wollte ich eigentlich? Ich hatte ihm doch die Vorlage geliefert.
»Genau das«, antwortete ich mürrisch, doch er lachte kurz und das selbstgefällige halbe Grinsen in seinem Gesicht blieb. Er wusste, was er mit mir tat.
»Sicher nicht. Solange ich Spaß und meinen Nutzen dabei habe, verzichte ich auf ausreichend Schlaf.« Er streckte die Beine aus, die er bis eben in einem Schneidersitz hochgezogen hatte. »Gehst du um diese Zeit sonst nicht Laufen in der Halle?«
»Ich bin aber hier, find dich damit ab. Scheiße Mann, Albright, du bist anstrengend«, maulte ich und legte mein eigenes Tablet auf meinen Schoß, das ich zur Tarnung dabeihatte.
Er brauchte das nicht immer so raushängen lassen. Wie er so dasaß und sich die Schläfen massierte. Er streckte die Beine weiter aus und lehnte resigniert den Kopf zurück. Störte ihn meine bloße Anwesenheit beim Lernen? Ich saß doch nur hier mit meinem Tablet und meinen Stylus und arbeitete an der Zeichnung der Skyline von Rushcot. Oder war es mein Oberschenkel, der gegen seinen drückte?
Wieder ein Gähnen und entnervtes Einatmen.
»Harter Tag was?«, fragte ich beiläufig, ohne von meinem Tablet aufzusehen.
»Echt jetzt, Thomas? Smalltalk?« Er seufzte.
Ich ließ mir Zeit mit einer Antwort, um die Wut über seine Arroganz etwas abebben zu lassen.
»Warum nicht? Wir beide sind zu stur, aufzustehen und woanders hinzugehen. Du und ich sind nach einem langen Tag hier, um kurz auszuspannen. Da kann man doch mal das Kriegsbeil für ein paar Minuten begraben.« Ich drehte den Kopf zu ihm, betrachtete ihn kurz, wie er an die Decke starrte und mit den Schultern zuckte.
»Was auch immer, Thomas.« Er rieb sich die Augen.
»Also?«, hakte ich nach.
»Also was?« Er sah mich entgeistert an.
»Dein Tag. War er anstrengend?«
Er lachte leise, klang müde dabei, und bescherte mir eine Gänsehaut und ein Kribbeln in einer Gegend, wo ich es nicht gebrauchen konnte. Benimm dich, schimpfte ich meinen eigenen Schwanz im Geiste.
»Du meinst das ernst?« Er legte seine Beine hoch neben meine auf den Couchtisch.
Nicht, dass mich sein Tag persönlich interessierte. Ich tat das für den Bund und für mich – für meinen Aufstieg. Er würde mir kaum sein Herz ausschütten und Knights Geheimnisse verraten, aber irgendwo musste ich ja anfangen.
»Warum nicht. Erheitere mich«, forderte ich ihn auf.
Er schnaubte amüsiert. Meine Güte, dieses verschmitzte Schmunzeln brachte mich total raus. Konzentrier dich!
»Ich bin nicht dein Abendprogramm. Was soll ich sagen, es passiert doch nichts, außer Arbeit, Training und Dienstleistungen – und von Letzterem willst du sicher nichts wissen. Ich bezweifle auch, dass dich etwas von dem Rest begeistern würde.«
Ich lehnte mich zurück und lümmelte mich wie er in das Polster. Unsere Schultern berührten sich, die Gänsehaut kam zurück und ein Schauer durchfuhr mich.
»Meine Güte, stell dich nicht so an. Du warst doch bei dem schicken Event beim Minister vor ein paar Wochen, was ging da so ab? Von sowas wagen wir Normalos nicht mal zu träumen.« Vielleicht half der Schubs in eine bestimmte Richtung.
»Und das interessiert dich ernsthaft?«, fragte er.
»Tut es nicht. Aber mir ist langweilig.« Um das zu unterstreichen, widmete ich mich wieder meiner Zeichnung.
»Na ja, es war angstengend, das kann ich dir sagen«, antwortete er.
Das war nicht aufschlussreich und er klang, als würde er gleich einschlafen. Er sollte wohl besser doch nicht auf seinen Schlaf verzichten.
»Wie war der Minister so?« Es nervte, ihm alles aus der Nase ziehen zu müssen.
Wieder dieses Lachen, das mich bis in die Haarspitzen erschütterte. Wie schaffte er das jedes Mal?
»Glaubst du, ich hätte mit ihm Tee getrunken? Wir reden von dem Oberhaupt unserer Nation. Es waren andere wichtige Menschen dort und ich war damit beschäftigt, Knight zu begleiten. Klingt nicht nach viel und garantiert gehen dich die Details nichts an. Bleiben wir einfach bei: es war anstrengend«, erklärte er.
»Aha.«
Mist verdammter. Wie machte ich weiter? Er hatte keinerlei Grund, mir mehr zu erzählen. Das war schwerer als gedacht. Es gab keine Verbindung zwischen uns, keine Grundlage. Außer unseren Streit.
Das Schweigen wurde unangenehm. Irgendwas musste mir doch einfallen, um ein Gespräch am Laufen zu halten.
Der Druck seiner Schulter gegen meine wurde stärker, mein Kopf schnellte zu ihm herum. Er war eingeschlafen. Toll, das hatte ja hervorragend geklappt. Ich hatte nichts, außer den Geruch von Lavendel und Minze in der Nase. So roch sein Shampoo. Sein Kopf kippte in meine Richtung und lehnte an der Seite meines Halses. Mit einem halben stillen Seufzen atmete ich tief aus.
Das, genau das – warum war es nicht immer so?
Erschrocken von dem Gedanken versteifte ich mich. Wieso? Weil er war, wer er war, und er mich behandelte wie Dreck und ich mir das nicht gefallen ließ. Sollte ich einfach aufstehen und gehen? Dann würde er aufwachen. Pah, wen interessierte es? Ich war nicht für seinen erholsamen Schlaf zuständig. Seine Schuld, wenn er nachts herumhurte und dann hier einpennte. Trotzdem blieb ich sitzen wie gelähmt. Ohne Erklärung. Ich versuchte, meinen Fuß ruhig zu halten, mit dem ich unaufhörlich herum wackelte.
Bevor ich wusste, was ich da tat, drückte ich Eli ein wenig zur Seite, befreite meinen rechten Arm und legte ihn um seine Schultern. Wie aus einem Reflex heraus kuschelte er sich an mich, schlang seinen Arm um meine Hüfte und sein Kopf glitt auf meine Brust, als wäre ich ein großer Teddybär. Ich hielt die Luft an und schloss kurz die Augen. Zählte bis zehn und atmete aus. Meine Gedanken rasten und der mörderische Ständer zwischen meinen Beinen ließ sich nicht besänftigen.
Warum in aller Welt brachte ich mich in diese beschissene Situation? Ich sollte aufstehen, meine Schulter wegziehen oder ihm einen Stoß verpassen.
Sein Com piepte. Ich hielt den Atem an und rührte mich nicht. Schlief er noch? Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Er reagierte nicht. Langsam atmete ich aus. Meine Güte, musste er groggy sein. Eigentlich war er darauf getrimmt, bei jedem Geräusch strammzustehen. Ich schielte auf sein Handgelenk an meiner Brust und drehte den Kopf, um den Absender der Nachricht zu entlarven.
Knight.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Sollte ich es wagen? Ich sah zur Tür, sie war zu. Elis Atemzüge gingen tief und gleichmäßig. Sanft griff ich nach seinem Handgelenk und drehte es ein wenig. Ganz langsam. Ganz vorsichtig.
Mit dem Arm, den ich um ihn gelegt hatte, schob ich ihn ein bisschen nach vorn, bis das Com seine Gesichtszüge erkannte und entsperrte.
Ich tippte auf Knights Mitteilung.
»Wo bist du?« Die Nachricht schwebte über seinem Com. Die Holo-Funktion war aktiviert. Seit wann besaß er dieses Upgrade? Sicher hatte es ihm sein Gönner höchstpersönlich spendiert.
Diese drei so nichtssagenden Worte gingen mir durch und durch. Verrückt, eine direkte Nachricht von Knight zu lesen, von dem ich wusste, dass er nur Unheil brachte. Adressiert an Eli, der mit ihm so oft das Bett teilte.
Ein Mann, mit dem Eli viel Zeit verbrachte, dem ich selbst nie begegnet war.
Die Worte klangen so persönlich – unhöflich, aber direkt. Duzte er ihn immer? Warum nicht? Ich glaubte kaum, dass er ihn Leutnant nannte, während er ihn … Yikes. Ich schüttelte die Bilder aus meinen Gedanken, die ich da nicht haben wollte.
Eli seufzte und winkelte sein Bein an, sein Ellenbogen berührte meinen Schritt, als er sich enger an mich schmiegte. Vor Schreck ließ ich sein Handgelenk fallen und sog scharf die Luft ein. Ich presste die Lippen aufeinander und atmete flach durch die Nase. Er hob seinen Arm und legte ihn auf meinen Bauch. Unfassbar, er schlief noch. Ich rutschte vorsichtig hin und her, damit ich den Anstand nicht vergaß und der wüsten Begierde folgte, die sich wie ein Film in meinem Kopf abspielte.
Ein verdammt heißer Film, in dem ich sein Kinn anhob, ihn wachküsste, ihn in die Kissen drückte und meinen Körper auf seinen presste und …
Ich atmete ein paarmal tief durch und mein Blick fiel auf sein Handgelenk. Über seinem Com schwebten die Worte »Ich liebe dich.«
Mir jagte es gefühlt einen heißen Speer durch mein Innerstes. Mir wurde kalt und schrecklich heiß zugleich. Für einen Moment glaubte ich, sämtliches Blut in meinem Körper wäre in meine Magengegend gesunken.
Ich widerstand dem Impuls, ihn von mir zu stoßen. Aufzustehen und vor der Erkenntnis davonzulaufen.
Völlig egal, völlig egal, völlig egal, redete ich mir ein. War es auch. Ich war nicht hier, um mit ihm zu kuscheln, sondern um etwas für den Bund herauszufinden. Was sich hinter diesen drei Worten verbarg, musste nützlich sein. Bekamen wir Elijah in die Hand, konnten wir ihn gegen Knight einsetzen.
Ihre Beziehung stand im Fokus. Mein beschissenes Gefühl dabei würde schon wieder vergehen. Da Silva hatte recht gehabt. Albright hatte etwas mit jemandem am Laufen. Dieser Jemand schrieb ihm über das offizielle Netzwerk. Über das Com. Es musste ein Offizier sein. Verdammt nochmal.
Okay, ruhig bleiben.
Ich traute mich nicht, Elijahs Handgelenk wieder hochzuheben, und verrenkte beinahe meinen Hals, um das Menü seines Coms besser erkennen zu können. Durch den Schein der holografischen Buchstaben hindurch stand da immer noch Knight. Es war derselbe Chat, ich war nur im Verlauf nach oben gerutscht, als ich seinen Arm hatte fallen lassen. Mit dem Finger scrollte ich über die Nachrichten.
Knight heute Mittag:  …